Egor Yablokov für Forbes: "Die Reform der Hochschulbildung in Russland: Herausforderungen und Aussichten"

27. Juni 2023

Egor Yablokov
CEO
Anlässlich der neuen Hochschulreform in Russland, die letzten Monat beschlossen wurde, hat Forbes Russia einen neuen Beitrag von Egor Yablokov veröffentlicht, in dem er seine Stellungnahme zur Zukunft der Hochschulbildung in Russland abgibt.

Am 12. Mai 2023 gab der Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation mit dem Titel "Über einige Fragen der Verbesserung des Hochschulsystems" eine neue Richtung für die Hochschulen in Russland vor. Die vorgeschlagene Reform soll die Freiheit der Bildungswegauswahl von Masterstudierenden einschränken und die Möglichkeiten für russische Jugendliche, im Ausland ein Master- oder Doktoratsstudium zu absolvieren, verringern.

Eines der Hauptanliegen dieser Reform ist der Ausstieg aus dem Bologna-Prozess, der den Studierenden die Möglichkeit bietet, nach dem Bachelor-Abschluss neue Kompetenzen zu erwerben und alternative Studienrichtungen zu wählen. Die neue Reform würde ihre Möglichkeiten für die Gestaltung des Masterstudienganges einschränken.

Der Master dient nicht der Umschulung von Personen, die nach ihrem Bachelor-Abschluss nicht über ausreichende Kenntnisse in ihrem Fachgebiet verfügen. Vielmehr bietet er die Chance, durch Neuausrichtung oder Studienprofilwechsel unabhängig vom Bachelor-Abschluss deutlich abweichende Kompetenzen zu erwerben. Dieser Mechanismus ermöglicht die Weiterentwicklung von Fachkräften mit einem wesentlich breiteren Spektrum an Kompetenzen als bei einem einstufigen System.

An vielen der weltweit führenden Forschungsuniversitäten sind die meisten Studierenden gerade für Masterstudiengänge eingeschrieben. Masterstudierende sind voll in den Forschungsprozess eingebunden und treten als Mitglieder von Forschungsteams auf, die von Wissenschaftlern mit mehr Erfahrung geleitet werden.

Was bezwecken diese bedeutenden Veränderungen in der Struktur der Hochschulbildung? Zu den erklärten Zielen der Reform gehören die Sicherung der technologischen Souveränität, die Überbrückung der Kluft zwischen dem Arbeitsmarkt und dem Hochschulsystem sowie die Verbesserung der Praxisnähe der Ausbildung. Durch den Verzicht auf die vom Bologna-System gebotene Flexibilität, die die Entwicklung von Fachkräften mit einem breiteren Qualifikationsprofil ermöglicht, läuft Russland jedoch Gefahr, stärker isoliert und verwundbar zu werden. Darüber hinaus wird sich das so genannte "souveräne" russische Hochschulsystem noch weiter von der internationalen Gemeinschaft abkoppeln, was es für russische Studierende äußerst schwierig machen wird, im Ausland einen Master- oder Doktortitel zu erwerben.

Weder in der Geschichte Russlands noch in der Weltgeschichte gibt es Beispiele dafür, dass die Isolation eines Landes zum Antrieb für seine Entwicklung wurde. So wurde beispielsweise das rasante Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte in China, das zum wichtigsten Vorbild für Russland geworden ist, erst durch die Hinwendung zu Offenheit und wirtschaftlicher Liberalisierung möglich.

China begann aktiv Studierende an die führenden Universitäten der Welt zu entsenden und nach ihrer Rückkehr ins Heimatland brachten sie Wissen, Kompetenzen und soziale Bindungen mit, die im eigenen Land wegen des Mangels an qualitativ hochwertigen Institutionen nicht aufgebaut werden konnten. Heute ist China weltweit führend bei der Zahl der im Ausland studierenden Studenten, mit mehr als 1 Million internationaler Studenten, was etwa 16,5 % der Gesamtzahl weltweit entspricht. Dieses Phänomen war entscheidend für die anschließende rasche Entwicklung von Wissenschaft und Technologie im Land.

Betrachtet man den postsowjetischen Raum, so hat Russland im Verhältnis zu seiner Bevölkerung eine der niedrigsten Zahlen von Vollzeitstudierenden, die im Ausland studieren. Bei über 143,4 Millionen Einwohnern studieren weniger als 57.600 Studierende im Ausland. Im Vergleich dazu entsendet Kasachstan (19 Millionen Einwohner) mehr als 90.300 Studierende ins Ausland und Usbekistan (34,9 Millionen Einwohner) mehr als 85.800 Personen. Dadurch können diese postsowjetischen Republiken Wissen und Kompetenzen importieren, die sie in entwickelten Ländern erworben haben.

Komplexe sozioökonomische Systeme erfordern ein komplexes mehrstufiges Bildungssystem mit einem hohen Maß an Mobilität und einer großen Variabilität der Bildungswege. Es wird zunehmend befürchtet, dass die Vereinfachung des Bildungssystems und die Verweigerung der Möglichkeit, den Bildungsweg zu ändern, dazu führt, dass die Volkswirtschaft zunehmend gestrafft wird.

Wie genau die vorgeschlagenen gravierenden Veränderungen im Bildungssystem die Qualität der Bildung verbessern werden, bleibt unklar. Es ist unwahrscheinlich, dass der derzeitige Mangel an Kompetenzen und Technologien in Verbindung mit dem fehlenden Zugang zu den Ressourcen und Fähigkeiten technologisch fortgeschrittener Nationen angemessen ausgeglichen werden kann. Darüber hinaus ist die unzulängliche Aufmerksamkeit für die Lösung grundlegender Probleme im Hochschulwesen ein Zeichen für die fehlende Bereitschaft, diesen Herausforderungen gerecht zu werden. Folglich scheint die Entstehung von Forschungsuniversitäten von Weltrang in Russland in den nächsten Jahren unwahrscheinlich.

Der Originalartikel ist unter dem Link verfügbar: https://www.forbes.ru/forbeslife/491354-kosmeticeskij-remont-k-cemu-privedet-novaa-obrazovatel-naa-reforma-v-rossii